Vortrag von Dr. Johannes Latzel am 25.1.2012, Universität Freiburg
Homöopathie nach Clemens von Bönninghausen, Homöopathie nach Jürgen Becker,
Provokative Homöopathie nach Brian Kaplan und Frank Farrely -
was ist das Gemeinsame in verschiedenen homöopathischen Schulen ?
Ich möchte Ihnen heute drei Arten, homöopathisch tätig zu sein, aus meiner Sicht heraus vorstellen - insbesondere die Methode von Clemens Bönninghausen, von Jürgen Becker und von
Brian Kaplan - und möchte dabei abzielen auf die Frage, ob den in diesen drei so grundverschiedenen Ansätzen etwas Gemeinsames zu entdecken ist.
Ich möchte dann Frage der Frage nachgehen , was denn überhaupt das Gemeinsame ist an all den vielfältigen Formen, Homöopathie zu betreiben.
Und schließlich möchte ich meiner homöopathischen Lieblings - Frage nachgehen, die mich seit der Studentenzeit begleitet.
Was ist es denn eigentlich, was Homöopathie gelingen lässt ?
Exkurs:
Das, worauf es bei einer Psychotherapie ankommt
Eugene Gendlin, Professor an der Universität von Chicago, Mitarbeiter und Nachfolger auf dem Lehrstuhl von Carl Rogers, hat sich zusammen mit mehreren Kollegen intensiv einer Forschungsfrage
gewidmet, nämlich:
Warum gelingt Psychotherapie nicht häufiger? Warum bewirkt sie so selten eine echte Änderung im Leben des Patienten? Was tun Patienten und Therapeuten in den seltenen Fällen, in denen sie zum
Erfolg führt?
Erstaunlicherweise fand er heraus, dass die Technik des Psychotherapeuten keine große Rolle für den Erfolg der Therapie spielte. Unterschiedliche Methoden, so zeigten die Analysen, wirkten sich
überraschend gering aus.
Und nun hätte er sagen können - okay, ist liegt eh am Patienten. Dann können wir alles machen oder Placebo geben, es liegt ja gar nicht an der Therapie.
Aber das tat Gendlin nicht !
Aber das tat er nicht. Er forschte weiter.
Und : Er fand heraus, dass es tatsächlich gar nicht wichtig, worüber die Patienten sprachen.
Entscheidend für den Erfolg der Therapie aber war, wie sie sprachen, was sie gleich in den ersten Sitzungen erlebten, wie sie sich in den Sitzugen gegenüber sich selbst verhielten,
was im Inneren der Patienten in den ersten Sitzungen vor sich ging.
Er entdeckte, dass erfolgreich Patienten - als Patienten, bei denen eine Therapie echte Veränderungen hervorrufen konnte- ganz leicht schon in den ersten Sitzungen zu erkennen waren !
Die Erkennungsmerkmale wurden in Gendlins Forschungsarbeit so deutlich, dass er sie jungen, unerfahrenen Studenten leicht beibringen konnte- so dass sogar diese Studenten den Behandlungserfolg
präzise voraussagen konnten !
Erstaunlicherweise zeigte sich, dass die Patienten, bei denen die Therapien im Endeffekt erfolgreich waren, bereits in den ersten beiden Sitzungen von den übrigen Patienten unterschieden
werden konnte - er konnte Voraussagen machen, die mit ganz hoher Wahrscheinlichkeit eintragen ( dasselbe Ergebnis zufällig gab es vergleichsweise nur mit einer Wahrscheinlichkeit von 1: 1000
!).
Die so genannten erfolgreichen Patienten besaßen eine bestimmte Fähigkeiten, die so entscheidend war für den Therapieerfolg, dass die Therapiemethode vergleichsweise ganz unbedeutend war.
Wie gesagt, Gendlin konnte diese Fähigkeiten nach langen Forschungsjahren so genau beschreiben, dass er, aber auch seine Mitarbeiter, schon nach der ersten und zweiten Sitzung klar erkennen
konnte, ob sie da war oder nicht.
Und nachdem Gendlin herausgefunden hatte, was diese Fähigkeiten genau ist, begann er sozusagen Patienten zu trainieren, erfolgreiche Patienten zu werden.
Bzw. er begann Therapeuten auszubilden darin, in sich selbst diese Fähigkeiten zu entwickeln , so dass in ihrer Gegenwart und unter deren Anleitung diese Fähigkeiten beim Patienten wach
wurden.
Dieses Training nannte er Focusing.
Focusing läßt sich nicht mit einem Wort oder so nebenbei in ein paar Minuten im Abendvortrag Homöopathie definieren.
Wenn ich es trotzdem mit ein paar Worten beschreiben sollte, würde ich etwa sagen:
Focusing ist eine Methode, um mit sich selbst tiefer in eine authentische Beziehung zu kommen.
Man kann sie, wenn man sie gelernt hat, allein anwenden, als Selbsthilfemethode, oder man wendet sie mit Hilfe eines Therapeuten an.
Das Prinzip ist, dass man den heilen, gesunden, starken, liebevollen, klaren, freien Teil von sich selbst findet und sich dort verankert - und von dort aus freundlich und behutsam auf das
Problem, das Symptom, die Schwierigkeit hinschaut, immer in Kontakt mit den Körperempfindungen und mit den Gefühlen. Man kommt dann in Kontakt mit der gefühlten Bedeutung eines Problems, dem
sogenannten felt sense, und erlebt von dort aus oft einen sogenannten Shift, eine heilsame, hilfreiche Veränderung.
Wenn Sie sich damit näher beschäftigen wollen, empfehle ich Ihnen eine Focusing-Sitzung zu nehmen oder das Taschenbuch Focusing von Eugene Gendlin zu lesen.
Oder mal eine Sitzung bei einem der hervorragenden Focusing- Therapeuten oder Therapeutinnen in Freiburg zu nehmen, z.B. bei Steffen Hieber, Susanne Kersig oder Barbara Dietz-Waschkowsky.
Aber wenn sie Homöopathie ausüben oder homöopathischer Patient sind, haben sie wahrscheinlich dieses authentischer werden mit sich auch schon auf andere Weise gelernt.
Sie haben keine felt sense-Erfahrungen gehabt, aber Erfahrungen, dass das Mittel passte, und keine Shifts, aber heilsame Arzneiwirkungen.
Aber was ist da genau, was passiert, wenn ein Stück Heilung geschieht?
Welche Fähigkeiten im Patienten bewirken seine Heilung?
Gibt es Fähigkeiten, die wir - vielleicht bei jeder der vielen bewährten homöopathischen Methode - erlernen können, die es uns ermöglichen, erfolgreiche Patienten zu sein- oder
Patienten zu helfen, erfolgreiche Patienten zu sein?
Für uns als Homöopathen stellt sich dieselbe Frage, die Gendlin der Psychotherapie gestellt hat - wieweit wirklich die Therapiemethode entscheidend ist für den Erfolg - oder wieweit
vielleicht das, was im Inneren des Patienten vor sich geht bei der Behandlung, das Wesentliche ist.
Noch einmal:
Könnte es wirklich sein, dass das Entscheidende für den homöopathischen Therapieerfolg bestimmte Fähigkeiten des Patienten sind ?
Und könnte es sein, dass ein guter Homöopath, gleich mit welcher Methode er arbeitet, diese Fähigkeiten beim Patienten zuzusagen anstoßen, vermitteln kann?
Welche Fähigkeiten hat ein Patient, bei dem Homöopathie erfolgreich ist ?
Und welche Fähigkeiten braucht der homöopathische Arzt, damit er die die Fähigkeiten, die der Patient zur Heilung braucht, wachrufen, aktivieren, stärken kann?
Sind es vielleicht sogar dieselben?
Gehen sie doch, wenn wir jetzt gleich unterschiedliche Methoden der Homöopathie besprechen, dieser Frage immer wieder nach: Welche Fähigkeiten werden mit diesen Methoden beim Arzt und bei
Patienten sozusagen trainiert?
Und fragen sie sich - können sie das auf den Punkt bringen?
Das Phänomen der Unterschiedlichkeit in der Homöopathie
Alles wird durch sein Gegenteil erkannt, sagt der große orientalische Dichter Rumi.
Ein Weg, um das Gemeinsame zu finden, ist , die Unterschiedlichkeit zu betrachten.
Jeder , der sich mit Homöopathie beschäftigt, stösst schon recht bald auf ein ungeheuer verwirrendes Phänomen: Homöopathie wird erfolgreich praktiziert in höchst
unterschiedlicherWeise. Was die homöopathische Ähnlichkeit bedeutet, wird ungeheuer vielfältig interpretiert.
Die Lehrer und ihre Regeln widersprechen sich so sehr, dass einem Anfänger ganz und gar der Mut vergehen kann, falls er sich über den Tellerrand seiner eigenen Schule und seines eigenen Lehrers
mal hinauszublicken wagt.
Stellen wir doch mal die Frage:
Was kann man da so alles Unterschiedliches erleben, wenn man sich mit Homöopathie beschäftigt und homöopathische Behandlung sucht ?
Ich schildere Ihnen mal ein paar Eindrücke von meiner Reise mit einigen meiner homöopathischen Lehrer. Und zwar beschreibe ich dabei meine Eindrücke aus der Perspektive dessen, der
versucht, die verschiedenen Methoden der Lehrer zu verstehen- und aus der Perspektive des Patienten, der sich von diesem Lehrer behandeln lässt.
Hellsichtige Heilpraktiker
Meine ersten homöopathischen Erfahrungen machte ich mit 21 Jahren bei einem hellsichtigen Heilpraktiker. Er hörte zwar zunächst immer eine Zeitlang zu, was einen denn so
beschäftigte, aber dann stellte er seine Diagnose mit dem Pendel und fragte dann auch mit dem Pendel ab, welche Medikamente hilfreich waren.
Man konnte förmlich spüren, wie er beim Pendeln in einen Bewusstseinzustand noch höherer Konzentration, Wachheit, Aufmerksamkeit hineinging.
Dann verordnete er nicht nur ein Medikament, sondern meist mehrere homöopathische Komplexmittel und mischte dann noch einen Cocktail aus homöopathischen Hochpotenzen, so dass man ohne Weiteres
mit einem Rezept für die Einnahme von 50 homöopathischen Mitteln gleichzeitig die Praxis verlassen konnte. Man war dann beispielsweise zuhause mit 5 verschiedenen Fläschchen und
zusätzlichen abends mit Tütchen von vielleicht 30 Kügelchen Cocktail-Hochpotenzen beschäftigt
Damals hatte ich noch keine Ahnung von Homöopathie und wusste nichts von Unterschieden.
Ich hatte ich schon von meinem Grossvater gehört, dass er 10 Jahre seines Lebens diesem Heilpraktiker zu verdanken hatte. Als es ihm vor Jahren lange Zeit anhaltend schlecht gegangen
war und der Arzt keinen Grund finden konnte, war er zum Heilpraktiker gegangen. Dieser hatte ihm per Pendeldiagnose mitgeteilt, er habe einen Herzinfarkt gehabt, was nicht so schlimm sei, denn
den habe er ohne Behandlung trotzdem schon überstanden. Dass er aber einen Lungentumor in einem seiner Lungenflügel habe und nur weiterleben könne, wenn er geschwind in die Klinik ginge und
diesen Tumor würde herausoperieren lassen.
So ging mein Großvater in die Uniklinik, erklärte, dass ein Heillpraktiker die Diagnose Z.n. Herzinfarkt und dringend operationsbedürfter Lungentumor gestellt habe und er um Überprüfung bitten
wollte, In der Uniklinik war man entrüstet, dass mein Großvater so einen Unsinn glauben würde, aber mein Großvater, der Oberlehrer Müller, setzte sich gegen den spöttischen Widerstand der Ärzte
durch - und tatsächlich war es genauso, wie der Heilpraktiker gesagt hatte.
Dieses ungewöhnliche geheimnisvolle Wissen, dass der Heilpraktiker offenbar besaß, und das große Wohlwollen, seine Wachheit und seine hingebungsvolle Liebe für seine Patienten haben
tiefes Vertrauen in mir hervorgerufen, das Gefühl, hier in Sicherheit zu sein. Ich habe mich tief beschenkt gefühlt.
Und gleichzeitig war da die Frage: Was macht dieser Mann da? Wie funktioniert das? Was passiert da? Es war sehr rätselhaft für mich. Muss man hellsichtig sein, damit Heilung geschehen kann?
Dr. Gerhard Köhler
Als ich dann Medizin studierte und Vorlesungen von Dr. Gerhard Köhler hörte, war ich sehr erstaunt: Das war ja nun eine ganz und gar andere Homöopathie: Statt 50 Tiefpotenzen
und 5 Hochpotenzen gemischt bekam man da z. B. täglich nur 5 Küglelchen Pulsatilla C 6 oder gar nur 3 Kügelchen Sulfur C 30 und dann 6 Wochen nichts...!
Das funktioniert offenbar nicht durch Pendeldiagnose, sondern durch genaue Beobachtung .
In Dr. Köhler fand man als Patient einen Arzt, der sich für die wahrnehmbaren Phänomene interessierte, sie ganz genau unterschied und dann nach festen Regeln Verschreibungen machte. Man spürte
Vertrauen zu diesem alten erfahrenen Arzt, der sich so detailiert für die Einzelheiten der eigenen Befindlichkeit interessierte und für jede Situation eine Medizin wußte.
Es schien sein großes Wissen vieler Einzelheiten zu sein, die in seiner Praxis so viel Heilungen bewirkte.
Jürgen Becker
Als Student lernte ich dann auch den damals ganz jungen Arzt Jürgen Becker kennen. Er war irgendwie anders als die Lehrer an der Uni - so menschlich, so begeistert von seiner Arbeit, wo wissend
um Wesentliches.
Seine Vorlesungen waren spannend wie ein Krimi. Man konnte nur stauen, wie er mit jedem homöopathischen Mittel eine ganze Seelenwelt von Gefühlen, Haltungen, Märchen und Geschichten verband
und spannend erzählen konnte. Bei ihm funktionierte die Homöopathie offenbar durch ein Verstehen der Seele und ein Spüren von Übereinstimmung zwischen der Seele des Patienten und der Seele
homöopathischer Arzneimittelbilder.
Ich durfte dann auch in seine Praxis dabeisitzen und die Therapien direkt miterleben.
Als Jürgen Beckers Patient war man fasziniert, wie dieser Arzt zuhören konnte, wie sensibel er sich in das Problem einfühlen konnte, wie differenziert er nicht nur deren
körperliche Phänomene, sondern auch deren Seelenleben wahrnahm.
Man fühlte sich oft tief verstanden wie sonst bei keinem anderen Arzt. Und man spürte das Vertrauen, dass Jürgen Becker hatte, dass es in jeder Situation ein homöopathisches Mittel zu
finden gibt, das weiterhilft.
Wer als lernender Homöopath auf die Seminaren der Boller Schule ging, der Jürgen Becker mit Gerhardus Lang zusammen gründete, entdeckte die Freude zu erleben , wie jedes Arzneimittel eine
ganz eigene Welt ist, die ein jeder selbst erfahren kann, der sich mit dem Arzneimittel beschäftigt.
Prof. Mathias Dorsci
Begeistert, aber verwirrt von der Unterschiedlichkeit meiner Homöopathen beschloss ich, mich an Hochschulautoritäten zu orientieren und machte mein erstes richtiges ordentliches
homöopathisches Ausbildungsseminar : Bei Professor Dr: Mathias Dorsci , Ordinarius an der medizinischen Fakultät in Wien.
Seine warmherzige freundliche Ausstrahlung, sein großes Wissen und sein Wiener Charme waren beieindruckend.
Aber was lernte ich dort? Homöopathie funktionierte nach Dorsci auf der Anfängerebne zunächst einfach nach bewährten Indikationen ! Für jedes einzelne kleine Krankheitsbild gab es eine paar
homöopathische Mittel, und man brauchte dann nur unter den wenigen das auszusuchen, was am besten zum Patienten passte, ganz einfach.
Aber das war sehr anders, als ich es bisher gelernt hatte !
Rajan Sankaran
So hielt ich mich erst mal weiter an Jürgen Becker, denn erstens konnte ich dort immer wieder Vorlesungen hören und zweitens machte es bei Ihm am meisten Spaß.
Und nach einiger Zeit lernt ich dann anläßlich eines Besuches bei Jürgen Becker Rajan Sankaran kennen.
Er faszinierte mich mit seinem feinen psychologischen Gespür, mit seinem systematischen philosophischen Denken und mit seiner Idee, neue Grundprinzipien zu finden, nach denen sich Arzneien ordnen
ließen.
Damals war seine Leitidee die Idee der Central Delusion, die Idee, dass jeder Krankheit eine spezielle Art von Verkennung der Realität zugrunde liegt, und dass man mit Homöopathie diese
Verkennung auflösen könne, wenn man das genau passende Mittel gäbe.
Später veränderten sich seine Leitideen, z. B. zur Leitidee der Vital Sensation: Danach ist bei jedem Menschen eine Art Grundempfindung festzustellen, die sein Leben prägt und die man nicht so
sehr durch seine Worte, sondern über seine Gesten herausfinden kann.
Radjan Sankaran baute sein Ordnungssystem der Arzneien immer differenzierter aus. Er ordnete die Arzneien in Arzneien aus dem Tierreich, aus dem Pflanzenreich und dem Mineralreich und entdeckte
die übergeordneten Themen dieser Reiche. Er fand dann immer neue Unterordnungen in Tierarten, Pflanzenfamilien und Reihen und Spalten im Periodensystem
Und er fand er über die schon bekannten klassische Miasmen - also vererbare Krankheitsveranlagungen - hinaus noch eine Reihe anderer Miasmen und ordnete alle ihm bekannte
Arzneien nicht nur in die Reiche, sondern auch in die Miasmen ein.
Auch begann er mit einer großen Zahl früher unbekannter Arnzeien zu arbeiten.
Als Patient erlebt man mit Rajan Sankaran einen Arzt, der mit einer schier unglaublichen Hartnäckigkeit versucht, eine tiefere Empfindungsebene in einem selbst aufzudecken, indem er immer wieder
die Wirkung der Hauptbeschwerde auf einen selbst nachfragt.
Er fragt immer wieder Fragen wie:
Auf welche Weise wirkt sich das auf sie aus?
Beschreiben sie das genauer?
Was ist ihre Empfindung dabei?
Wie fühlt sich das an?
Wenn sie sagen...- was meinen sie genau damit?
Erzählen sie mehr darüber ...
usw.
So eine Anamnese kann eine ziemliche Herausforderung an den Ungeübten sein...
Jan Scholten
Ein anderer Experte, der Arzneien ganz neu ordnete und neue Wege zur Arzneimittelfindung entdecke, ist Jan Scholten. Er beschäftigte sich vor allem mit den Arzneien, die dem Periodensystem
der Elemente entnommen waren, und sieht das Periodensystem als Landkarte, die es leichter machen sollte zu sehen, wo man sich denn mit dem Patienten eigentlich befand.
Er ordnete die Arzneien des Periodensystems und ihre Verbindungen in genialer Weise in Themen und dynamische Zusammenhänge ein und fand ganz neue Gruppen von Arzneien wie die Lanthaniden.
Als Scholten- Patient odeer Patient eines Arztes der Scholten-Schule kann man nur staunen, wieviel System und Ordnung in unsren Arzneien zu finden ist und wie sich offenbar das eigenen Befinden
sozusagen im Periodensystem der Elemente wiederspiegelt.
Mazi Elizalde
Als Mensch, der schon immer an spirituellen Themen intereressiert war und der vor der Medizin Philosophie studiert hatte, wurde ich als Student auch auf Mazi Elizalde aufmerksam, einen
argentinischen Homöopathen, der sich viel mit dem mittelalterlichen Philosophen Thomas von Aquin beschäftigt hatte . Er ging davon aus, dass auch Hahnemanns Denken von Thomas von Aquin
stark beeinflusst war. Für Mazi war Krankheit jedenfalls vor allem eine Störung in der Beziehung der menschlichen Seele zu Gott .
So differenzierte er zwischen unterschiedlichen Arten, wie der Mensch sich von Gott getrennt fühlten kann, und ordnete in einem komplizierten Analysevorgang der bekannten Symptome jeder Arznei
eine entsprechende Beziehungsstörung zu.
Selbst mit den Gedanken von Thomas von Aquin vertraut, kam mit der Gedanke interessant vor, aber was bedeutete das praktisch? Wie ganz praktisch die Mittel finden, ohne zu spekulieren?
Als Patient erlebte man bei Mazi-Elizalde oder seinen Schülern Ärzte, die sich für spirituelle Themen interessieren - damals etwas ganz Ungewöhnliches.
Georgos Vithoulkas und Henny Heudens
Der Grieche Georgos Vithoulkas und später die Belgierin Henny Heudens waren da schon eine Entdeckung : Sie hatten offenbar so lange und so fleißig die Arzneimittellehren studiert,
dass Ihnen am Ende einer Anamnese das rechte Mittel einfach direkt in den Sinn kam. Das begeisterte mich sehr, allerdings ahnte ich: Selbst wenn ich meine ganze Freizeit nur in
Arzneimittelstudien stecken würde - so viel Wissen würde bei meiner Veranlagung einfach nicht in meine Gehirn hineinpassen - und außerdem konnte ich das nicht, in meiner ganzen Freizeit nur
studieren.
Vassily Ghegas und Alf Geukens
So besuchte ich Seminare bei den bekannten Vithoulkas-Schülern Vassily Gheghas und Alf Geukens , die phantastisch das Repertorium beherrschten. Sie übersetzen das, was sie bei Patieten
hörten und sahen und sonstwie erlebten, einfach in geeignete Rubriken der Repertoriums. Ich lernte bei ihnen sehr den Wert des Repertorium schätzen, allerdings sah ich auch, dass ich bei
meiner Hirnstruktur nur begrenzt das Repertorium auswendig lernen kann. Das Auswendiglernen von Symptomen in der Arzneimittellehre und Rubriken im Repertorium war mir nur begrenzt möglich. Gab es
vielleicht doch einfachere Wege?
Paul Herscu
So begeisterte mich später Paul Herscu, Auch Paul Herscu suchte nach Wegen , wie die Homöopathie einfacher werden könnte, und fand heraus: Man kann die Symptome der Arzneien in jedem
einzelnen Fall so ordnen, dass die Krankheiten als charakteristische zyklische Prozesse verständich werden: Die sogenannten Hersuc-Zyklen. Dieses dynamische Verständnis ordnet die Symptome in
relativ übersichtliche Schemen ein und macht damit die Arzneimittelfindung oft leichter - wenn man denn diese Zyklen in langer Arbeit , jeden einzelnen Zyklus für sich, sehr gut und von
innen heraus erarbeitet hat.
Dario Spinedi
Ebenfalls jemand, der für mich die Homöopathie einfacher und auch klarer werden ließ, war Dario Spinedi: Ihn interessiere als Künzli - Schüler ganz besonders der § 153, in dem es um
die eigentülichen, besonderen Symptome geht. Er legte großen Wert auf die Rubriken mit den sogenannten Künzli-Punkten im Künzli-Repertorium, solchen Rubriken also, die man dann anwenden konnte,
wenn man § 153 -Symptome gefunden hatte.
Mit dieser Methode haben Spinedi und seine Schüler selbst viele Krebspatienten erfolgreich behandelt.
Allerdings - was tun, wenn man keine oder zuwenig 3 153-Symptome findet oder die dazu passenden Rubriken nicht kennt?
Erinnerung an die Frage
Sie sehen, wie vielfältig Homöopathie sein kann.
Ich möchte Ihnen jetzt drei homöopathische Methoden aus meiner Perspektive heraus näher beschreiben - und Sie einladen, den eingangs erwähnten Fragen nachzugehen:
Was ist das Gemeinsame an diesen so verschiedenen Methoden?
Was ist es denn eigentlich, was Homöopathie gelingen lässt ?
Was erlebt der Patient bei diesen verschiedenen Methoden ?
Schauen wir uns jetzt mal drei ganz unterschiedliche Arbeitsmethoden genauer an - und versuchen wir zu verstehen, was der Patient dabei erleben könnte.
Die Arbeitsmethode des Barons Clemens Maria von Bönnighausen
Er wurde 1785 geboren. Er studierte Jura und hatte verschiedene Ämter inne, bis er 1827 an TB erkrankte, die damals in der Regel tödlich verlief. Er wurde aber von seinem Freund, dem
homöopathischen Arzt August Weihe, auf für ihn wunderbare Weise geheilt.
Danach wandte er sich mit großer Hingabe der Homöopathie zu.
Schon 1930 schrieb Annette von Droste-Hülsoff, die seine erste Patientin gewesen war, dass er sich vor Patienten kaum noch retten konnte. Seine außerordentlichen Heilerfolge
bewirkten, dass er durch eine Verfügung König Friedrich Wilhelm des IV einem Arzt gleichgestellt wurde und ungehindert behandeln durfte.
Bönninghausen gehörte zu den ersten großen Schülern Hahnemanns, und Hahnemann schätze ihn so sehr, dass er sagte, im Falle einer Krankheit würde er sich am liebsten bei Bönnighausen behandeln
lassen.
Bönnighausen war von seiner Ausbildung her Jurist und Botaniker und von daher gewohnt, überall nach klaren Ordnungen und Systemen zu suchen und praktisch damit zu arbeiten.
So war er es, der einen wesentlichen Beitrag dazu leistete, dass homöopathisches Arbeiten zu einer klaren lehrbaren Methode wurde, und mit seiner Art von Homöopathie war er in kurzer Zeit äußerst
erfolgreich.
Wie ging Bönnighausen vor?
Er war ein sehr praktischer Mensch.
Bei aller Verehrung für Hahnemann war ihm ziemlich bald klar, dass das Durchstudieren der riesigen Symptomsammlungen, die Hahnemann angefertigt hatte, noch nicht dazu befähigte, ein passendes
Heilmitte für einen bestimmten Patienten zu finden, denn meistens kamen die Symptome, die ein Patient zeigte oder erzählte, bei allen möglichen Arzneien vor.
Er fragte sich:
Worauf muss ich denn nun genau eigentlich achten, wenn ich ein homöopathisches Heilmittel für einen Patienten finden will?
Und wie kann ich mir ein Wissen über Arzneien zulegen, dass mir wirklich hilft, das passende Mittel zu erkennen?
So kam er auf die Idee, die Eigenart der Arznei zu finden, den Genius, das, was sich in allen Symptomen einer Arznei entdecken ließ.
So suchte er und fand er die mitteltypischen Symptome einer jeden Arznei, die sogenannten charakteristischen Symptomen, die nur bei diesem Mittel oder ganz besonders oft bei diesem
Mittel beobachtet wurden , und die möglichst auch in der Praxis durch Heilungserfolge bestätigt wurden.
Besonderen Wert legte er dabei auf die Modalitäten, dass heißt die Umstände, unter denen Symptome besser oder schlechter wurden.
Was er als charakteristisch für eine Arznei herausgefunden hatte, schrieb er fein ordentlich im Therapeutischen Taschenbuch auf und prägte es sich ein.
Und dann wurde seine Anamnese, sein Krankenexamen , zur Forschung nach solchen charakteristischen Symptomen .
Charakteristisch im Sinne des § 153 sind für ihn nicht die kuriosen, merkwürdigen, sonderbaren Symptome des Patienten, sondern die Symptome bei Patienten, die er als charakteristische
Symptome einer ihm bekannten Arznei erkennen konnte.
Unter Erfassung der Totalität verstand er nicht , alle Symptome zu erfassen.
Er verstand unter Totalität die Erfassung aller derer Symptome, die als charakteristisch oder mitteltypisch für eine Arznei einordenbar sind.
Er schreibt;
"Die Summe, die Gesamtheit der charakteristischen Symptome, nicht der Krankheit, sondern vielmehr des Arzneimittels, ist das Entscheidende, ja sogar beinahe das Einzige, worauf der Blick mit
größer Aufmerksamkeit gerichtet werden muß."
Und es geht ihm dabei auch nicht um alle Symptome der Lebensgeschichte wie später bei Kent, sondern nur um die gegenwärtig wahrnehmbaren Symptome, das, was jetzt gerade aktuell ist !
Bönninghausen war für seine hervorragende Beobachtungsgabe bekannt. Er hatte eine Vorliebe für die genaue Beobachtung des Details.
Und für klare Strukturierung der Arbeit.
Um die Arbeit noch einfacher zu machen, schuf er dann als Gedächtnisstütze ein Repertorium, in dem man die bekannten charakteristischen Symptome nachschauen kann.
So schuf er ein System, mit dem man in einer fast mathematischen Präzision eine Arzneiwahl treffen und sie immer ganz klar begründen konnte - und wurde damit außerordentlich
erfolgreich. Seine Arzneigaben wirkten bei einer großen Zahl von Menschen Wunder, und viele Prominente ließen sich von ihm behandeln.
Seine Methode übte großen Einfluss auf die Homöopathie aus und wird bis heute erfolgreich angewandt. Ein moderner Vertreter der Bönninghausen-Methode ist Heiner Frei, dessen Forschungsarbeiten
zur Wirksamkeit der Homöopathie wesentlich dazu beitrugen, dass in der Schweiz Homöopathie von den Krankenkassen anerkannt wird.
Die Arbeitsmethode Jürgen Beckers
Kommen wir zunächst zur Arbeitsweise des Freiburger homöopathischen Arztes Jürgen Becker. Ich kenne Ihn und seine Arbeit seit 1980. Sie hat sich in diesen Jahren immer wieder verändert und
weiterentwickelt.
Hier versuche ich aus meiner Sicht zu beschreiben, was inmitten all dieser Veränderungen gleichbleibend das Wesentliche seiner Arbeitsmethode ist.
Als Student lernte ich den damals ganz jungen Arzt Jürgen Becker kennen. Er war irgendwie anders als die Lehrer an der Uni - so menschlich, so begeistert von seiner Arbeit, wo wissend um
Wesentliches.
Seine Vorlesungen waren spannend wie ein Krimi. Man konnte nur stauen, wie er mit jedem homöopathischen Mittel eine ganze Seelenwelt von Gefühlen, Haltungen, Märchen und Geschichten verband
und spannend erzählen konnte. Bei ihm funktionierte die Homöopathie offenbar durch ein Verstehen der Seele und ein Spüren von Übereinstimmung zwischen der Seele des Patienten und der Seele
homöopathischer Arzneimittelbilder.
Ich durfte dann auch in seine Praxis dabeisitzen und die Therapien direkt miterleben.
Jürgen Becker hat ein besonderes Talent, Menschen zuzuhören. In Ihm brennt das Feuer eines tiefernsten Interesses an jedem einzelnen Menschen, der zu ihm kommt.
Er möchte ihn verstehen, das Besondere und Individuelle dieses Menschen in dieser aktuellen Situation verstehen. Und er hat zutiefst den Wunsch, das dem Menschen, der mit einem Leiden zu ihm
kommt, geholfen werde.
Deswegen hat er sich sein ganzes Leben mit homöopathischen Heilmitteln beschäftigt. Seine Erfahrung ist, dass er mit diesen Heilmittel dann am meisten helfen kann, wenn er sie genauso
gründlich zu verstehen versucht wie die einzelne menschliche Seele.
Und so brennt in ihm auch das Feuer dafür, Arzneien zu verstehen.
Dieses Verstehen funktioniert für ihn aber nur begrenzt über Bücher. In erster Linie sucht er eine homöopathische Arznei durch eine unmittelbare Begegnung mit ihr zu verstehen.
Wie geht das - einer homöopathischen Arznei begegnen? Für ihn ist eine homöopathische Arznei nicht nur ein Medikament. Für ihn ist jede Arznei eine Manifestation der Weisheit der Natur, eine
Atmosphäre, eine Wellenlänge, ein wesenhaftes Sein auf vielen verschiedenen Ebenen.
Und die Weisheit der Arznei erschließt sich für ihn als Therapeuten vor allem durch persönliches Engagement mit dem wesenhaften Sein der Arznei.
Mit Hingabe hat Jürgen Becker selbst Arzneien eingenommen und die Wirkung beobachtet, die Wirkung von Arzneien an Gesunden und Kranken beobachtet, Zusammenhänge gesucht und gefunden zwischen dem
wesenhaften Sein der Arzneien und allen möglichen Phänomenen in der Kunst, Politik, Gesellschaft, Literatur, Poesie , in Märchen Geschichten und vieles mehr.
Wie sieht so eine Hingabe, so ein Engagement konkret aus ? Es ist neben Bücherstudium der Symptome möglich durch Einnahme einer Arznei, durch die Teilnahme oder Beobachtung
einer C4-Verreibung oder einer Aufstellung. Es ist aber auch einfach dadurch möglich, dass man eine Weile z. B. durch Lektüre der Symptme, aber auch ganz unmittelbar, sich auf die Arznei
entschieden innerlich einstellt - und dann beobachtet, was im Bewusstsein auftaucht:
An körperlichen Symptomen vielleicht, die man erlebt, an Gefühlen, an Gedanken, an spirituellen Prozessen - und was einem äußerlich begegnet, was auf diesen vier verschiedenen Ebenen
in Resonanz zum Arzneimittel steht.
Beispiel: Als ich mich einst entschieden auf Arsen einstellte, begegnete mir am selben Abend noch "zufällig" der Film der Name der Rose, über den ich nichts wusste, als ich ins Kino ging -
es war aber ein Film über eine Arsenvergiftung. C.G. Jung würde von "Synchronisation" der Erlebnisse sprechen.
Und mit der C4-Homöopathie hat Jürgen Becker einen Weg gefunden, wie man innerhalb einer Gruppe diesem wesenhaften Sein der Arzneien besonders nahe kommen kann bzw. wie sich schon durch die
Herstellung der Arznei höhere Ebenen dieses Seins erschließen.
Zusammengefasst würde ich Jürgen Beckers Arbeitsmethode so beschreiben:
Er engagiert sich so lange in einer persönlichen Begegnung mit dem wesenhaften Sein einer Arznei, bis er selbst erlebt, dass er sie tief von innen heraus kennt und verstanden hat.
Auf dem Hintergrund dieses großen Erfahrungsschatz persönlicher Beziehungen und Erkenntnisse zu Arzneien hört er dann Patienten so lange und so gründich zu, bis er Ihren körperlichen und
seelischen Zustand gut verstanden. Sein Verstehen zeigt sich für ihn dann fast immer in einer Resonanz des Patientenzustandes zu einem wesenhaften Sein einer der Arzneien, die er kennt.
Daraufhin verordnet er die Arznei und kann dabei gut in Worten zu beschreiben, was er im Patienten wahrnimmt und weshalb die Arznei zu diesem Patienten passt.
Genies werden oft nur von wenigen verstanden.
Da die viele seiner Kollegen diese Art von persönlichen Zugang zu den Arzneien nicht haben, können sie manchmal sein Arzneiverständnis und seine Verschreibungen nicht
nachvollziehen oder kritisieren ihn gar als zu intuitiv.
Jürgen Beckers Erfolge, die nun schon seit über 30 Jahren anhalten, sprechen allerdings für sich.
Dass in Freiburg die Homöopathie so verbreitet ist wie in keiner anderen deutschen Großstadt, ist wesentlich ihm zu danken.
Und er hat seit über dreißig Jahren eine große Zahl von Homöopathen inspiriert und ermutigt, auf ihre Art ihren persönlichen Zugang zu den Arzneien zu finden.
Als Jürgen Beckers Patient ist man fasziniert, wie dieser Arzt zuhören kann, wie sensibel er sich in das Problem einfühlt, wie differenziert er nicht nur deren körperliche
Phänomene, sondern auch deren Seelenleben wahrnimmt.
Man fühlt sich oft tief verstanden wie sonst bei keinem anderen Arzt. Und man spürt das Vertrauen, dass Jürgen Becker hat, dass es in jeder Situation ein homöopathisches Mittel zu
finden gibt, das weiterhilft.
Wer als lernender Homöopath auf die Seminaren der Boller Schule ging, der Jürgen Becker mit Gerhardus Lang zusammen gründete, entdeckte die Freude zu erleben , wie jedes Arzneimittel eine
ganz eigene Welt ist, die ein jeder selbst erfahren kann, der sich mit dem Arzneimittel beschäftigt. Und wer ihn heute hört, kann staunen über die Fülle immer neue Zusammenhänge und
Einsichten, die er vermittelt.
Die Arbeitsmethode Brian Kaplans und Frank Farrely
Vor noch nicht allzu langer Zeit lernte ich zunächst bei Fortbildungen des Zentralvereins homöopathischer Ärzte und dann durch eine Video-Seminar eine homöopathische Methode kennen, die die
Unterschiedlichkeiten, die mir bereits bekannt waren, noch einmal toppten:
Brian Kaplan, bekannter Homöopath und Ausbilder homöopathischer Ärzte in England, verbindet seine homöopathische Arbeit mit einer Therapiemethode, die man der kognitiven Therapie zuordnen kann
und die von einem weisen alten Herrn namens Frank Farrely begründet wurde.
Was tun die beiden?
Sie werden selbst zum homöopathischen Mittel. Sie hören sich das Problem des Patienten an - und dann versetzen sie sich sozusagen in die Seelenteile hinein, die das Problem verursacht haben
könnten, und spielen es dem Patienten maßlos übertrieben kabarett-artig vor.
Wir geben ihnen mal hier eine kleinen Eindruck einer Patientin, der nach einer ordentlichen Anamnese vielleicht Pulsatilla verordnen würde:
Patientin: Es geht mir seelisch nicht so gut. Ich bin irgendwie immer so müde.
Arzt: Da wird ihr Mann aber verärgert sein
Patientin: Ja, ich kann es ihm oft nicht recht machen. Ich bemühe mich ja, so gut ich kann, aber irgendwie schimpft er immer wieder.
Arzt: Sie gehen viel zu wenig auf ihn ein. Sie müssten einfach besser spüren, was er braucht?
Patientin: Ja, meinen sie?
Arzt: Wenn er von der Arbeit nachhause kommt, muß das Essen sofort auf dem Tisch stehen, verstehen sie? Sonst ist er einfach schlechter Stimmung nach so einem Arbeitstag.
Patientin:Ja aber ich habe ja auch immer so viel Arbeit...
Arzt: Hausarbeit zählt doch nicht. Das ist doch nichts im Vergleich zu so einer richtigen Arbeit, bei der auch Geld hereinkommt. Nur so Putzen und Waschen und Kochen und 5 Kinder betreuen, dass
ist doch keine Arbeit.
Patientin: Aber es wird mir oft zuviel, und er sieht das gar nicht.
Arzt: Ja, ich sehe, sie denken viel zu viel an sich. Sie sind zu egoistisch.
Sie stellen sich viel zu wenig auf andere ein.
So ein Haushalt und so ein paar Kinder helfen ihnen noch nicht, ein wirklich guter Mensch zu sein. Sie sollten ihrem Mann noch viel mehr unterstützen , und dem Pfarrer in der Kirche noch
anbieten, ihm den Garten zu machen und die Kirche zu putzen.....
Dies ist nur ein winziger Einblick- bei Brian Kaplan oder gar beim Meister Frank Farrely geht das so in einem fort für eine halbe Stunde, und sie finden immer neue Spielarten, das Weltbild des
Patienten liebevoll zu karikieren und sozusagen eine direkte Arzneiverschlimmerung hervorzurufen: Sie verstärken mit allen Mitteln das, was den Leidenszustand des Patienten hervorrufen
könnte.
Sie nutzen Humor und paradoxe Intervention. Sie sagen absurde, provozierende Dinge, um die Gefühle, Gedanken und Verhaltensweisen des Patienten sozusagen aufzurütteln und einen
Selbstheilungsprozess in Gang zu setzten.
Die Provokative Therapie "ermutigt" den Patienten mit einem Blinzeln im Auge und Wärme im Herzen dazu, seine selbstschädigenden Verhaltensweisen fortzusetzen. Sie provoziert heilende
Veränderungen, indem sie die das, was die Probleme schafft, sozusagen bestärkt.
Sie verdünnt und verschüttelt sozusagen durch Humor die krankmachenden Verhaltensweisen des Patienten und gibt sie lachend an den Patienten zurück.
Es ist erstaunlich, wie tief eine einzige Sitzung wirken kann. Brian Kaplan arbeitet auch weiterhin als Homöopath nach den Regeln der klassischen Homöopathie, aber er versteht auch die
provokative Therapie als Homöopathie und wendet oft nur sie allein an.
Nun habe ich Sie aber bis zur Grenze mit der Unterschiedlichkeit homöopathischer Therapien strapaziert.
Was ist ihnen denn nun, außer dass sie alle Hahnemann verehren und irgend eine Art von Ähnlichkeit zwischen Arznei und Krankheit herzustellen versuchen - wirklich gemeinsam?
Woran liegt es denn nun, wenn einmal eine Therapie nach Bönninghausen und ein andere Mal eine nach Jürgen Becker und ein drittes Mal nach Brian Kaplan gelingt?
Was haben diese drei großen Homöopathen alle gemeinsam ?
Und welche Fähigkeit wird wach bei den Patienten in ihren drei verschieden Therapien, so dass man sie als erfolgreiche Patienten bezeichnen könnte - alle drei Homöopathen haben
ja sehr viele erfolgreiche Patienten?
Aus meiner Sicht haben diese drei Homöopathen
vor insbesondere vier Fähigkeiten:
Und:
Sie rufen diese Fähigkeiten auch ein Stück weit bei ihren Patienten wach.
Mit ihren Methoden trainieren sie bei sich selbst und fördern beim Patienten diese Fähigkeiten.
Diese Fähigkeiten sind:
Achtsamkeit
Mitgefühl
Mut
Dankbarkeit
1.Achtsamkeit ist nach Jon Kabat Zinn die Fähigkeit, mit Absicht im gegenwärtigen Augenblick, im Jetzt zu sein, ohne zu werten und offen wie möglich.
Achtsamkeit fixiert sich nicht auf irgend etwas. Sie sieht das Ganze. Achtsamkeit sieht die Einheit des Ganzen. Wer achtsam ist, schaut hin, hört zu.
Wenn es dem Behandler gelingt, in dieser vorurteilsfreien schauenden Präsenz, im Lauschen, in diesem Blick aufs Ganze zu sein, dann hat auch der Patient die Chance, dass diese
Präsenz, diese Gegenwärtigkeit, dieses Dasein im jetzt , ohne sich selbst oder das Leben zu kritisieren, diese Wahrnehmung des Ganzen in der Beziehung zu sich selbst in ihm lebendiger wird.
In der Achtsamkeit entsteht Gelassenheit und klares Sehen der Dinge , wie sie sind, und eine klare Wahrnehmung von sich selbst.
2.Mitgefühl
Wenn der Behandler wohlwollend, freundlich und mitfühlend ist, dann hat auch der Patient die Chance, dass in ihm die Fähigkeit, zu sich selbst wohlwollend, freundlich und mitfühlend zu sein, ganz
wach ist.
3. Mut
Und wenn der Behandler den Mut hat , immer wieder genau hinzuschauen, wenn es schwierig wird, das Dunkle und Schmerzende und Leidverursachende und Unmögliche nicht zu verdrängen, sondern sich
diesem Ungewollten zuzuwenden und wieder und wieder zuzuwenden, wenn es da ist- dann wird auch im Patient der Mut gekräftigt, vertrauensvoll seinen ungeliebten Seiten zu
begegnen.
3.Dankbarkeit
Wenn der Arzt wieder und wieder erfahren hat, dass es eine helfende Kraft in jeder Not gibt, und dass in der Suche nach der ähnlichen Arznei die helfende Kraft auch gefunden werden kann,
und wenn er vertrauen kann, dass sie kommt, diese Hilfe, ja wenn er dankbar dafür ist, dass er sie immer wieder erlebt wird- dann
wird er auch im Patienten die Fähigkeit stärken können, zu vertrauen, dass Hilfe da ist, dankbar zu sein, dass sie da ist, seinem Selbst gegenüber Dankbarkeit zu empfinden.
Dankbarkeit ist die stärkste Kraft im Universum. "Glaubt, das ihr empfangen habt, und ihr werdet es erhalten" ( Mk. 11, 24).
Was würden Sie nun sagen, wie nennt man diese Fähigkeit, die dort lebendig wird, wo Achtsamkeit und Mitgefühl und Mut und Dankbarkeit zusammentreffen ?
Was wird bei dem lebendig, der achtsam, mitfühlend und mutig, und dankbar, mit sich selbst in Beziehung tritt ?
Die Selbstheilungskraft.